Wie wir Gefühle fühlen

Bei der Frage ‚Was fühlst du oder wie fühlst du dich?‘ gibt es zwei Herangehensweisen:

Direkter Zugang zu Gefühlen:
Die Einen sagen sehr direkt, wie ihnen zumute ist. Sie reagieren z.B. auf Kritik mit ‚ich fühle mich gekränkt und möchte schreien‘. Bei dieser Art von Reaktion sind Mimik und Gestik oft in Übereinstimmung mit dem Inhalt der gesprochenen Worte. Es herrscht Kongruenz.
Die Verletztheit zeigt sich sozusagen doppelt. Diese Menschen haben zumindest in diesem Augenblick einen sehr direkten Zugang zu ihren Gefühlen. Sie nehmen ihren Körper wahr und spüren was mit ihnen los ist. Sie müssen nicht darüber nachdenken, was sie fühlen. Diese Menschen nehmen es in Kauf, dass ihre Gefühle unlogisch oder nicht ideologiegemäß sind. In der Psychologie nennt man dies auch lymbisch. ‚Ich bin verletzt, obwohl ich weiß, du hast Recht mit deiner Kritik und meinst es gut mit mir.‘

Diese Menschen machen sich selbst nichts vor und lügen sich nicht in die eigene Tasche. Sie haben die Fähigkeit, ja zur seelischen Realität zu sagen und gewinnen damit – wenn auch nicht immer – ihre Ruhe. Dafür aber Lebendigkeit und intensive zwischenmenschliche Beziehungen. Sie gewinnen ein Stück seelische Gesundheit und haben oft tiefergehende, weniger oberflächliche zwischenmenschliche Beziehungen.

 

Hergeleitete Gefühle:
Bei den anderen erscheint das Gefühl als Resultat gedanklicher Ausführungen. Als ein Ergebnis, das aus bestimmten Prämissen und logischen Verknüpfungen folgt. Menschen, die sich ihre Gefühle herleiten, haben den direkten Draht zu ihren Gefühlen entweder verloren oder versuchen sich, ihn selber auszureden. Das Gefühl wird gleichsam mithilfe von geeigneten Sacherwägungen rekonstruiert. Etwa sagt jemand, der kritisiert worden ist ‚ich finde die Kritik in dem einen Punkt berechtigt und da es mir um die Sache geht, fühle ich mich neutral. In dem anderen Punkt halte ich die Kritik für unberechtigt, da sie dies und jenes außer Acht lässt, sodass ich mit von diesem Punkt nicht berührt fühle.‘

Ein starres Selbstkonzept – der innere Gedanken von ‚So einer bin ich‘ – ist der größte Verhinderer von direkten Gefühlswahrnehmungen. Der Kern von Neurosen z.B. ist es, dass wir innere Erfahrungen verzerren oder verleugnen müssen, die nicht in unser geliebtes Selbstbild passen. Habe ich z.B. das Selbstbild ‚ich bin ein Mann, der seine Eltern und Partnerin liebt‘, dann kann ich Aufwallungen von Bitterkeit und Hass ihnen gegenüber mir selbst nicht zugestehen.

Aber wohin mit diesen nicht linientreuen Gefühlen? Wohin mit meinem Ärger, den ich unter dem starken Einfluss meines Selbstkonzeptes vor mir verheimliche? Geht er in den Magen? In den Rücken? In den Nacken? In den Kopf?
Psychosomatische Beschwerden aller Art, haben ihren Ursprung wohl in verleugneten, nicht ausgedrückten oder unterdrückten Gefühlen.

Menschen, die ihre Gefühle herleiten und über Umwege rekonstruieren und dabei mehr ein Wunschresultat als die emotionale Realität zutage fördern, halten oft kleine Vorträge, wenn sie nach ihren Gefühlen gefragt werden. Sie mobilisieren ihren Pressesprecher, der gleichsam ein offizielles ein Statement herausgibt in abgewogenen, vorsichtigen, meist wenig sagenden Formulierungen. Da ein solcher Kommunikationsstil in weiten Bereichen unseres Lebens als souverän und anständig gilt, ist er üblich und fast selbstverständlich.

 

Du hast Schwierigkeiten, deine Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken? Ein persönliches Coaching kann dir helfen, dich und deine Gefühle besser kennenzulernen. Melde dich gern für ein kostenloses Erstgespräch.