Interview: Gefühle in der Führung

Wie geht es dir? Wann hast du das letzte Mal ehrlich auf diese Frage geantwortet. Und wie oft hat das Gegenüber die Antwort gar nicht abgewartet. Dies zeigt, dass wir Gefühlen, Emotionen und Bedürfnissen in unserem Alltag oftmals gar nicht genug Platz geben. Auf der anderen Seite wünschen wir uns wieder mehr Menschlichkeit in Unternehmen, Raum für Offenheit und Authentizität. Doch hierfür sind Räume notwendig, in denen wir zu uns und unseren Gefühlen stehen können.

Leona Petereit ist Gründerin von avec+ und hat es sich zur Aufgabe gemacht, Räume zu kreieren, in denen alle Themen des Lebens offen und ehrlich angesprochen werden können. Ziel ihrer avec+ Community ist es, Emotionen gesellschaftsfähig zu machen und Menschen zu befähigen, emotional kompetent und intelligent zu handeln. Ich habe sie zum Interview eingeladen, um mit ihr über das Verhältnis von Gefühlen und Führung zu sprechen, Emotional Leadership zu beleuchten und zu klären, was wir im Unternehmensalltag tun können, um für uns selbst und unsere Bedürfnisse zu sorgen.

„Leona, du hast es dir mit der avec+ Community zur Mission gemacht, Emotionen und dem Fühlen einen Raum zu geben. Was ist die Philosophie, die du mit avec+ verfolgst?“

Ich glaube, dass das sogar zwei sind. Zum Einen habe ich die Erfahrung gemacht, dass wir alle – egal ob Ost, West, alt, jung, arm, reich – sehr im Kopf verankert sind. Das liegt daran wie die Systeme in unserer Gesellschaft aufgebaut sind, wie wir arbeiten und daran, dass wir versuchen alles logisch mit dem Verstand zu klären. Das Problem ist nur, dass wir Wesen sind, die im Stande sind zu fühlen und dadurch (un)bewusst gesteuert werden. Und diese Emotionen werden häufig körperlich nicht wahrgenommen oder komplett unterdrückt. So kann es passieren, dass unser Denken, Handeln und Fühlen nicht kongruent sind. Diese große Diskrepanz ist mir im Beruf häufig aufgefallen und hat mich oft stutzig gemacht.

Zum Anderen knüpft avec+ an die aktuelle Entwicklung unserer Gesellschaft an. Wir wollen in Verbundenheit und Gemeinschaft leben, doch die Digitalisierung löst diese Zwischenmenschlichkeit auf. Uns fehlen die Kompetenzen, um mit anderen in Verbindung zu treten, mitzufühlen und gesellschaftsfähig zu sein. Das hat manchmal damit zu tun, dass wir selbst nicht ausreichend emotional entwickelt oder gereift sind, um zu verstehen, wie wir mit anderen (inter)agieren können. Um verstanden zu werden und andere zu verstehen, müssen wir uns aber zuerst selbst verstehen. Und das ist meine Mission mit avec+.

„Du hast es schon angesprochen, dass wir sehr stark in unserem Kopf verankert sind. Was meinst du: Warum sind Gefühle in unserer Gesellschaft so tabuisiert und werden nicht an die Oberfläche gelassen?“

Das liegt viel an unseren gesellschaftlichen Strukturen und dem Verständnis von Gefühl. Oft heißt es: „Sei nicht so emotional“ und bedeutet automatisch ‚schwach‘. Gefühle werden oft mit Schwäche assoziiert. Es sei denn, wir sind positiv erfreut. Dann ist es etwas Positives. Doch über den Rest wollen wir eigentlich lieber nicht sprechen. Denn wir wollen uns nicht selbst offenbaren, nicht zeigen, wer wir wirklich sind. Denn oft denken wir, wir sind nicht gut genug, wir sind nicht stark genug, wenn wir uns wirklich zeigen. Und wenn wir dies nicht thematisieren oder aufklären, entstehen Tabus und Stigmatisierungen.
Die Aufgabe ist also: Zu verstehen, dass es keine „negative“ Emotionalität gibt und, dass all diese Gefühle nichts mit Schwäche zu tun haben, sondern mit Authentizität. Das ist ein großes Thema, das es zu durchbrechen gilt.

„Gerade die Kombination von Führung und Emotionen ist für viele noch schwer vorstellbar. Damit hängt auch die Frage zusammen, wie kann ich authentisch sein in der Führungsrolle. Wie kann dieses Stigma aufgebrochen werden?“

Auch da glaube ich wieder liegt die Antwort in uns als Führungskraft selbst. Welche Erfahrungen haben wir mit Gefühlen in der Vergangenheit gemacht und in welchem Kontext befinden wir uns aktuell? Das Gleiche gilt für alle Mitarbeiter*innen. So kann es auch sein, dass Gefühle weder Tabu, Stigma noch ein großes Fragezeichen darstellen. Als Führungskraft dürfen wir lernen, dass es OK ist, wenn Mitarbeiter*innen fühlen und, dass es OK ist, wenn wir fühlen.
Nur wie gehen wir damit um?

Es wird bald eine neue Studie veröffentlicht, die aufzeigt -, dass diese emotionale Seite, bessere Führung ermöglicht, weil sie zu mehr Mitgefühl, Zusammenhalt und Zusammenarbeit beiträgt. Diese Eigenschaft verbinden wir häufig eher mit Frauen und meinen, dass Männer nicht so emotional seien. Das ist übrigens auch ein Stigma. Als Führungskraft haben wir eine Art Vorbildfunktion, wie wir uns zeigen und mit Stärken sowie Schwächen umgehen. Zusätzlich wird diese Rolle auch durch den jeweiligen Umgang und die Reaktion der Mitarbeiter*innen geprägt. Es treffen immer zwei verantwortliche Seiten aufeinander. 

„Wie kann denn die Führungskraft die Mitarbeiter*innen unterstützen, das stärker anzunehmen?“

Darauf basierend habe ich auch eines meiner Angebote entwickelt, nämlich die circles, die im Unternehmen stattfinden, um einen Rahmen zu schaffen, um sich wirklich kennenzulernen. Wer sind wir eigentlich hinter unserer Fassade? Hinter unseren Deadlines? Hinter unseren To-dos als Führungskraft oder als Mitarbeiter*in? Welche Themen beschäftigen uns gerade? Hier wird also dieser Raum geöffnet, um zu zeigen, dass wir nicht nur schwarz oder weiß sind, sondern dass da ganz viel dazwischen liegt.

Solch ein Austausch zeigt, dass wir nicht nur Arbeitskräfte, sondern Menschen mit Gefühlen und Privatleben sind – genau diese Themen spielen ja eine Rolle in unserem Verhalten und Auftreten als Führungskraft oder Mitarbeiter*in. Hier werden also Empathie und Kommunikation gefordert und gefördert. Was kann ich tun? Worin brauchst du Unterstützung? Kann ich etwas beitragen, damit du dich sicherer fühlst in deiner Aufgabe?

„Es gibt auch den Führungsstil des Emotional Leadership. Darunter wird die bewusste Nutzung von Gefühlen für die Führung verstanden. Du hattest auch selbst schon wissenschaftliche Studien angesprochen über den Wert von Gefühlen in der Führung. Wie stehst du zu diesem Führungsstil?“

Auf der einen Seite brenne ich für Emotional Leadership, denn das ganze Thema um emotionale Kompetenz und Intelligenz ist für mich eine Lebensgrundlage. Diesen Begriff hat Daniel Goleman zum Beispiel geprägt. Ich bin der Meinung, dass sich auch die Arbeitswelt in diese Richtung entwickeln muss.
Und auf der anderen Seite betrachte ich den Begriff der Emotionalen Führung kritisch. Denn abhängig von der individuellen Definition von emotional können schnell wieder die Assoziationen der Schwäche und Fragen aufkommen wie „Was hat denn Gefühl mit Führung zu tun? Muss ich als Führungskraft also über meine Probleme reden oder immer lachen? Ich will keine Tränen..“ Ich sehe das eher ganzheitlich. Das Konzept der Emotionalen Führung ist die Basis und funktioniert zum Beispiel gut mit Ansätzen wie der kollaborativen Führung.

Was beinhaltet nun die Emotionale Führung? Für mich ist es die emotionale Kompetenz und Intelligenz als Mensch in unserer Rolle als Führungskraft. Also die Fähigkeit, die eigenen Gefühle wahrzunehmen, zu regulieren und einzusetzen sowie diese Prozesse auch bei meinen Mitarbeiter*innen wahrzunehmen, bzw. anzuwenden. Was ist grade in uns oder unserem Gegenüber los? Was für ein Bedürfnis steht hinter unserer Emotion? Und wie können wir dieses Bedürfnis in diesem Moment befriedigen? Brauchen wir eine Pause, weil wir Ruhe und Konzentration benötigen? Oder haben wir das Bedürfnis nach Teamgefühl? Wollen wir was absprechen, weil To Dos oder Ziele unklar sind? Und wie können wir unser Verhalten ändern, um im Team eine andere Reaktion zu bewirken?

Und hier liegt der Kern der Emotionalen Führung: Empathie, Mitgefühl und Motivation. Denn diese ist ausschlaggebend für Zufriedenheit und Leistung der Mitarbeiter*innen. Je bewusster wir positive Emotionen einsetzen, desto motivierter ist das Team. Es gilt also, wahrzunehmen, in welchen Stimmungsverhältnissen sich die Teammitglieder gerade bewegen und wie wir mit der richtigen Emotionsregulation diese wieder motivieren können.

„Welchen Tipp gibst du Führungskräften, die Emotionen oder Gefühlen im Führungskontext mehr Raum geben wollen?“ 

Zum Einen setzen hier meine circles an,die Räume schaffen, um diesen Gefühlen mehr Platz zu geben. Vor allem jetzt auch in der Home Office Zeit. Denn häufig unterdrücken wir Gedanken, Meinungen und eben Gefühle, weil wir denken, dass es nicht professionell ist, diese zu äußern oder zu zeigen. Doch dieses Aussprechen ist die so genannte Psychohygiene. Wir „reinigen“ unser Inneres von Themen, die uns belasten oder bewegen. Das heißt jetzt nicht, dass wir impulsiv durch das Büro rennen und diese/r cholerische oder heulende Chef*in werden – das ist nicht emotional kompetent. Sondern es geht darum, einen für uns und unser Umfeld angemessenen Kanal und Umgang zu finden.

Kommunikation findet also im ersten Schritt mit uns selbst in einem inneren Dialog statt. Wir nehmen wahr, wo wir innerlich stehen und können uns sortieren. Zum Beispiel: „Ich nehme gerade wahr, diese Aufgabe (über)fordert mich etwas. Das ist OK. Ich bin dadurch vielleicht nicht in der Lage, sie wie erwartet zu erledigen. Vielleicht brauche ich Hilfe. Vielleicht brauche ich eine/n Kolleg*in, mit dem/r ich sprechen kann. Oder ich benötige eine Pause, weil ich heute schon in drei Meetings gewesen bin.“
Im nächsten Schritt können wir diese Dinge dann mit den betroffenen oder verantwortlichen Mitarbeiter*innen besprechen und danach handeln. „Hey, ich brauche gerade mal dein Ohr oder deinen Rat. Ich brauche ein Sparring, eine Unterstützung.“ Dieser Prozess scheitert häufig daran, dass wir uns entweder selbst nicht den Raum nehmen oder geben, wahrzunehmen, was wir fühlen oder uns anderen nicht offenbaren wollen.

Doch: Wenn wir ständig unsere Bedürfnisse missachten, unterdrücken wir nicht nur unsere Emotionen, sondern können uns ins Burnout oder die Depression steuern. Und das ist die häufigste psychische Ursache für Krankschreibungen.

Ich empfehle Routinen mit dem Team. Regelmäßige Check-Ins, um zu prüfen, wie geht es uns und unseren Mitarbeiter*innen? Was braucht das Team? Und dann geht es darum, Lösungen zu finden: Können wir anders priorisieren? Kann jemand unterstützen? Das bringt uns wieder zurück zur Menschlichkeit im Unternehmen. Wir sind keine Roboter oder Computer, die man an- und ausschalten kann. Das Team ist das Kapital.

„Vielen Dank für das tolle Interview, liebe Leona.“

Dieses Interview ist im Original bei Jasmin Schweiger erschienen.